Wie berühmte Speisen zu ihrem Namen kamen
Es gibt ja Gerichte, die schon vorm Essen ein Genuss sind, allein durch den Klang ihres Namens. Einige dieser namhaften Klassiker findet man heute kaum noch auf Speisekarten oder gar dem heimischen Esstisch, aber eines haben sie alle gemeinsam: Um ihre Entstehung und Namensgebung ranken sich ganze Geschichten. Deren Wahrheitsgehalt sich, zumindest bei den meisten, genauso wenig belegen wie widerlegen lässt. Unterhaltsam sind sie dennoch – oder gerade deshalb – aber allemal!
Birne Helene und Kaiser(in)schmarrn – Süßes für die Süße(n)
Fest steht: Bei weltberühmten Süßspeisen wie "Birne Helene" und "Kaiserschmarrn" waren Frauen mit im Spiel. Auf unterschiedlichste Weise. Ja, Kaiserschmarrn hieß dereinst tatsächlich "Kaiserinschmarrn"! So will es zumindest eine Version einer Geschichte. Und die lautet so: Die Köche am kaiserlichen Hof von Franz Joseph I. ersinnen, eigens um die blutjunge und bezaubernd schöne Kaiserin Sisi zu erfreuen, eine ganz besondere Mehlspeise für sie (einigen Quellen zufolge sogar extra anlässlich ihrer Hochzeit!). Die Ihre Majestät, stets ganz auf ihre schlanke und viel gerühmte Linie bedacht, jedoch – und da sind sich alle wieder einig – mit der Begründung "viel zu mächtig für die kaiserliche Wespentaille!" dankend ablehnt. Woraufhin sich ihr hochwohlgeborener Herr Gemahl, also Franzl höchstselbst, dem Gericht "erbarmt" – und es ihm so mundet, dass er es prompt zu seiner Leibspeise erklärt. Einer (wesentlich unglamouröseren und völlig Sisi-freien) Legende zufolge, wurde ihm das Mahl aus zerrupften Pfannkuchen mit Rosinen dereinst auf einer Almhütte als "Kaserschmarrn" serviert (wobei "Kaser" das mundartliche österreichische Wort für "Sennhütte" ist); das "i" kam später erst dazu (und klar, um dieses Wieso, Weshalb, Warum ranken sich dann wiederum verschiedene Geschichten). Dafür ist Birne Helene ganz eindeutig eine Hommage an eine Frau – eine legendäre und sagenumwobene, wegen der Männer sogar einen Krieg angezettelt haben. Gemeint ist Helena, die mystisch schöne Griechin, der Jacques Offenbach mit seiner Oper "La belle Hélène" ein musikalisches Denkmal setzte – zu dessen Pariser Premiere Auguste Escoffier das gleichnamige Birnen-Dessert ("Poire belle Hélène") erfand. Das im Original übrigens nur herzlich wenig mit der Schokoladensauce-übergossenen halbierten Birne aus der Dose zu tun hat, auf die der einst überaus feine Dessertklassiker heutzutage – leider – allgemein reduziert wird (und was dafür gesorgt hat, dass er von der kulinarischen Bildfläche ohnehin so gut wie verschwunden ist). Für eine richtige Birne Helene gehört nach wie vor eine frische Birne geschält, entkernt und halbiert, in Läuterzucker pochiert, auf Vanilleeis gebettet und mit kandierten Veilchen bestreut. Und die, heiße!, Schokosauce separat dazu gereicht (nicht alles schon in kalter ertränkt).
Carpaccio, Chateaubriand und Filet Wellington – Fleischliche Freuden
Kaum kommen die Herren der Schöpfung ins Spiel, geht's gleich herzhafter zur Sache! Was aber nicht zwangsläufig heißt, dass es deshalb unkomplizierter wird. Zum Beispiel spielen sich die beiden gängigsten Geschichten um das Filet Wellington gleich in verschiedenen Jahrhunderten ab. So behaupten die Einen, das mit pürierten Pilzen und Schalotten bestrichene und im Blätterteigmantel perfekt auf den Punkt gegarte Rinderfilet habe der Schweizer Koch Charles Senne eigens für die Internationale Kochausstellung in Zürich im Jahr 1930 kreiert. Die Anderen bestehen darauf, dass es das ebenso aromatische wie in der Zubereitung aufwendige und anspruchsvolle Fleischgericht schon lange vorher gegeben habe (was sich auch mit definitiv älteren Rezeptaufzeichnungen untermauern lässt)! Und es namentlich dem in Dublin geborenen englischen Aristokraten Arthur Wellesley, dem 1. Duke of Wellington, gewidmet wurde. Der die Köstlichkeit 1813 nach einer siegreichen Schlacht gegen napoleonische Truppen auf spanischem Boden ausgerechnet in einem Bauernhaus aufgetischt bekommen haben soll – und vom Fleck weg zum Lieblingsessen erkor. Vermeintlich eindeutiger sieht die Sache beim Chateaubriand aus. Es gilt als allgemein anerkannt, dass dieses extradicke Filetsteak aus der Rinderlende seinen Namen dem adligen Schriftsteller und Diplomaten François-René Vicomte de Chateaubriand verdankt. Denn während dessen Zeit als französischer Botschafter in London soll sein Koch Montmirel mit diesem auch für zwei reichenden Stück Fleisch seinem Dienstherrn neben einer kulinarischen Freude auch die (von diesem angeblich explizit gewünschte) Genugtuung verschafft haben, englische Steaks zu übertrumpfen. Andere Quellen halten dagegen, dass der schreibwütige und nicht uneitle Aristokrat nie auch nur ein einziges Wort über "sein" Steak geschrieben hat – was für die Version spreche, laut der ein (leider gänzlich unberühmter) Koch namens Chabrillan der "Vater" dieser Delikatesse sei und Chateaubriand glatt eine Namensverdrehung.
Über die Entstehung und Namensgebung des Carpaccios hingegen gibt es tatsächlich nur eine Geschichte! Was vielleicht (auch) daran liegt, dass die italienische Delikatesse aus hauchdünn geschnittenem rohen Rindfleisch vergleichsweise "neu" ist. Man nehme für ihre Historie einen Arzt, eine Contessa, einen Barbesitzer (aber nicht irgendeinen, sondern den, der auch den Cocktail "Bellini" erfunden hat) und einen venezianischen Renaissancemaler. Allora, der Dottore untersagt aus gesundheitlichen Gründen der Contessa den Verzehr von gegartem Fleisch. Das findet diese gar nicht gut und klagt ihr Leid einem gewissen Giuseppe Cipriani, Gründer und Besitzer von Harry's Bar in Venedig. Der nimmt das Problem seiner Stammkundin ebenso pragmatisch wie lukullisch versiert in Angriff, und bereitet speziell für sie feinstes rohes Rindfleisch mit einer besonders edlen Mayonnaise aus Olivenöl, Eigelb, Kapern, Worcestersauce, Zitronensaft, Milch, Salz und weißem Pfeffer zu. Das Ergebnis: ein Gedicht. Und weil es optisch mit dem Rot-Weiß so schön an die typische Farbkombination von Vittore Carpaccio erinnert (der sich seinerzeit von – ah! – den Gemälden der Brüder Bellini inspirieren ließ), hat Signore Cipriani auch schnell den passenden Namen für seine neuste Kreation gefunden. Das war 1950. Inzwischen ist die Edelmayo einer leichten Olivenöl-Vinaigrette gewichen und für das Weiß zum Rot auf dem Teller sorgen heute Parmesanraspel.
Crêpe Suzette, Pfirsich Melba und Waldorfsalat – Schöne Frauen und ein Luxushotel
Es kann auch ganz simpel sein: Ein findiger Koch (oder im konkreten Fall Küchen- und Restaurantchef) denkt sich ein neues Rezept aus und nennt es einfach wie den (sowieso ziemlich prestigeträchtigen) Ort, an dem er es erfunden hat. Wieder schwieriger wird's, wenn Verliebtheit, und obendrein noch ein Missgeschick (böse Zungen würden es auch Tollpatschigkeit nennen), mit im Spiel ist. So ist der Waldorfsalat schlicht und ergreifend nach dem New Yorker Hotel Waldorf-Astoria benannt, in dem ein immigrierter Schweizer namens Oscar Tschirky ihn Ende des 19. Jahrhunderts erfunden hat. Das Dessert Pfirsich Melba wiederum verdankt seinen Namen der australischen Opernsängerin Nellie Melba, zu deren Gaumenfreude es einst kreiert wurde. Als Namenspatin für die kulinarische Berühmtheit Crêpe Suzette hingegen kommen gleich zwei Damen in Frage: Da wäre zum einen eine nicht näher bekannte (wohl aber sehr hübsche) junge Frau namens Suzette, mit der Edward VII. einst in Monte Carlo im Café de Paris speiste. Wo der hauchdünne, mit Orangenlikör flambierte Pfannkuchen nur durch ein Missgeschick des Kochlehrlings (dem später sehr berühmten und renommierten Maître Henri Charpentier), der für die Zubereitung der Nachspeise für den britischen Kronprinzen und seine Gesellschaft zuständig war, entstanden sein soll. Die Anekdote endet damit, dass das Malheur His Royal Highness (der keine Ahnung hatte, dass man ihm einen "Unfall" servierte) so vorzüglich schmeckte, dass er es auf der Stelle seiner Begleiterin widmete. Und zum anderen Suzanne Reichenberg, Schauspielerin der Comédie-Française, die in einem Bühnenstück allabendlich Crêpe MUSSTE, was den Chef-Pâtissier des Pariser Restaurants Le Marivaux zur Erfindung der Flammen schlagenden Spezialität inspiriert haben soll (wie viel amour hier im Spiel war, ist nicht überliefert).
Bei so viel Geschichte(n) frage ich mich nun, welche kulinarische Kreation unserer Zeit es womöglich in die Reihe der berühmten, zeitlos delikaten Leckereien schafft. Und nach wem sie dann benannt sein wird...